Sammlungsgeschichte
Einstieg
Der Begründer der Rostocker Hautklinik, Maximilian Wolters, begann um 1908/09 mit dem Aufbau der Moulagensammlung mit ca. 300 Objekten im Jahr 1914. Sie wurde unter seinen Nachfolgern Walter Frieboes und Ernst Heinrich Brill bis 1940 auf 2.000 oder 3.000 Moulagen erweitert. Mouleure an der Hautklinik Rostock waren Auguste Kaltschmidt bis 1935 (Abb. 1), Anna Marie Brochier wenige Monate im Jahr 1935 und Kurt Krug bis 1940. Am 24. April 1944 wurde der Hauptteil der Sammlung durch einen Bombenangriff zerstört.
Moulagen demonstrieren Krankheiten der Haut oder die Haut betreffend. Sie werden bis heute als Lehrmittel verwendet, jedoch nicht mehr hergestellt. Kaltschmidt formte am Patienten ein Gipsnegativ von der Hautstelle ab und goss es anschließend mit Wachsschichten unterschiedlicher Färbung aus (Abb. 2). Die oberste Wachsschicht unter- und übermalte sie mit Ölfarben und gestaltete sie mit geformten Wachsbestandteilen oder Haar. Somit sollte die abgeformte Hautstelle realistisch wiedergegeben werden. Die Moulagen wurden dann auf einem schwarz lackierten Holzträger mit Schraube befestigt oder geklebt, in weißem Leinenstoff mit Nadeln eingefasst, mit dem Namensschild der Herstellerin am Übergang Holzbrett/Stoffeinfassung versehen, von einem Glasaufsatz mit Holzleisten luftdicht eingedeckt, mit der Diagnose auf einem Schild an der oberen und unteren Glasaufsatzleiste angenagelt, mit weißer Farbe in der rechten oberen Trägerecke nummeriert und rückseitig mit Holzleisten und einem Haken ausgestattet. So konnten die Moulagen in Schränken gehängt, aufgefunden und für den Unterricht herumgereicht werden.
Die heutige Sammlung umfasst noch einen Bestand von 32 Moulagen aus Rostocker Herstellung. Der zweite Moulagen-Bestand von 148 Wachsmodellen wurde am Dresdner Hygiene-Museum nach 1945 hergestellt. Dieser kam hauptsächlich durch Überlassungen bzw. Schenkungen in die Sammlung. Einen anderen Bestand bildet die Tafelsammlung mit Moulagenabbildungen auf 96 Tafeln aus der Entstehungszeit der Rostocker Moulagen. Auch diese Sammlung wurde im Laufe des Krieges durch Bombenzerstörungen erheblich dezimiert.
Die Moulagen aus Rostocker Herstellung wurden 2017 von der Restauratorin Johanna Lang konservatorisch begutachtet und 2018 gereinigt oder restauriert (Abb. 3 u. 4). Der Moulagen-Bestand aus Dresdner Herstellung wurde von ihr ebenfalls begutachtet.
Die Moulagen aus Rostocker Herstellung und die Tafeln werden heute in einem 2018 neu gefertigten Moulagenschrank ausgestellt (Abb. 5). Die Moulagen aus Dresdner Herstellung werden in einem im gleichen Jahr neu angeschafften Magazin in der Hautklinik aufbewahrt. Eine Moulage wird mit einer Tafel und einem Atlas als repräsentative Objekte der Sammlung im Universitätshauptgebäude ausgestellt (Abb. 6).
Moulagen aus Rostocker Herstellung und von Kaltschmidt befinden sich heute zudem in den Sammlungen in Wien (Narrenturm Wien), Hamburg (Medizinhistorisches Museum), Rostock (Anatomische Sammlung) und Dresden (Deutsches Hygiene-Museum Dresden). Kaltschmidt stellte auch an der Universität-Hautklinik Bonn Moulagen her.
Sammlungsgeschichten
Mit der Gründung der Universitätshautklinik in Rostock im Jahr 1902 wurde ein Lehrstuhl für Dermatologie und Syphiligrafie eingerichtet, der mit Maximilian Wolters (1861-1914), berufen aus Bonn, besetzt wurde. Rostock war damit die neunte Universität Deutschlands, die einen Lehrstuhl in diesem Fach erhielt.
Wolters hatte von Beginn an mit Moulagen aus eigener Erfahrung lehren wollen, er musste jedoch wegen mangelnder finanzieller Mittel auf sie verzichten. Er stellte allerdings als Lehrmittel Tafeln mit Moulagenabbildungen verschiedener Atlanten her, die mit den Jahren zu einer Sammlung anwuchs. Im Jahr 1909 beschaffte Wolters Moulagen von Otto Vogelbacher (1869-1943), 1910 von den Mouleuren A. Tempelhof und Dr. Bucky (Lebensdaten unbekannt). Die klinikeigene Herstellung der Moulagen übernahm die seit 1907 angestellte Lichtheilwärterin Auguste Kaltschmidt (geb. 1873, gest. nach 1935). Kaltschmidt bediente nicht nur Röntgen- und Lichtapparate, sondern zeichnete auch histopathologische Bilder für Wolters` Forschungen. Wegen ihres Talentes begann sie auf Wolters Initiative hin im Jahr 1908 erste Moulagen abzuformen. Er schickte sie 1909 an die Kölner Hautklinik, um von der dortigen Sammlung Kopien abzuformen. Auf der Tagung der norddeutschen Dermatologen in Rostock im Jahr 1912 wurden ihre Moulagen gezeigt und sehr wahrscheinlich anerkannt. Sie stellte noch bis 1913 in Rostock Moulagen her, ging dann aber an die Bonner Hautklinik.
Wolters` Nachfolger Walter Frieboes (1880-1945), ehemaliger Assistent in Rostock und berufen aus Bonn, holte Kaltschmidt 1916 an die Rostocker Hautklinik unter besonderen Konditionen zurück. Kaltschmidt stellte bis zur ihrem Ruhestand 1935 als nunmehr angestellte Mouleurin mit Gehalt eines Arztes in einem eigenen Atelier im poliklinischen Gebäude Moulagen her. Sie fertigte zudem Fotografien von Patienten und farbige Zeichnungen histopathologischer Aufnahmen her. Auch die Tafelsammlung wurde von Frieboes weiter geführt.
Frieboes` Nachfolger Ernst Heinrich Brill (1892-1945), zum Oktober 1933 aus Jena berufen, hielt am Moulagenhandwerk fest. Er selbst kannte in Jena keine Moulagensammlung und brachte vermutlich schon aus dieser Zeit seine private Tafelsammlung mit Moulagenabbildungen mit, die er bis mindestens 1934 erweiterte (Abb. 7). Auf die Stelle der Mouleurin folgte die Nürnberger Künstlerin Ana Marie Brochier (geb. 1897, gest. nach 1939), die jedoch nur wenige Monate auf der Stelle blieb. Auf ihre Stelle folgte der gelernte Laborassistent Kurt Krug (geb. 1911, gest. nach 1945). Wie Kaltschmidt stellte er neue Moulagen oder Kopien veralteter Moulagen her (Abb. 8). Er begann 1940 Medizin zu studieren. Die Stelle des Mouleurs wurde daraufhin nicht mehr nachbesetzt.
Die Moulagensammlung wuchs über die Jahre hinweg immer weiter an. Waren sie zu Beginn noch in der Poliklinik in einem Moulagenraum untergebracht, wurden die weiteren Moulagen in Moulagenschränken auf dem Flur der Poliklinik und weiter in einem Bretterverschlag vermutlich im Dachgeschoss der Hautklinik wie in einem Magazin dicht zusammengefasst. Dieses Magazin wurde 1931 mit dem Bezug eines 50 qm großen Raumes auf der von der Chirurgischen Klinik frei geräumten neuen Männerstation im Universitätskrankenhaus sehr wahrscheinlich in Schränken aufgestellt. Mit der Kriegszerstörung der Poliklinik im April 1942 wurde sehr wahrscheinlich bereits ein erster kleinerer Teil der Moulagensammlung zerstört. Die Hauptsammlung wurde in die Nervenklinik nach Rostock-Gehlsheim verlegt, jedoch nicht an einem kriegssicheren Ort ausgelagert. Am 22. Februar 1944 wurde auch der Ausweichstandort von Kriegsbomben getroffen und zerstört. Vermutlich aus den Trümmern wurde ein Teil der heutigen noch existierenden Moulagen geborgen.
Die Moulagensammlung wurde für den Studentenunterricht in den Vorlesungen als Anschauungsmaterial verwendet, aber auch für Fortbildungen für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, organisiert durch die Hautklinik, oder in der hygienischen Lehrerbildung, organisiert durch das Institut für Hygiene. Die Tafeln begleiteten die Moulagen indem sie epidaskopisch im Hörsaal vergrößert an der Wand gezeigt werden konnten, während die Moulagen herumgereicht wurden. Einige Rostocker Kliniken, wie vermutlich die Gynäkologie, die Chirurgie oder die Hals-Nasen-Ohrenklinik, entliehen Moulagen oder baten um Abformungen eigener Patientinnen und Patienten. Kopien Rostocker Moulagen wurden an die Hautkliniken in Hamburg und Wien und an die Moulagenwerkstatt des Hygiene-Museums Dresden geliefert. Eine Rostocker Moulage wurde nach 1945 von der Werkstatt weiter kopiert und verkauft. Rostocker Moulagen wurden in Wanderausstellungen der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten im Jahr 1920 ausgestellt oder in einer anderen Ausstellung zur Gesundheitserziehung bei Berufskrankheiten im Jahr 1936. Frieboes veröffentliche die Rostocker Moulagen in Atlanten in den Jahren 1924, 1928 und 1930. Brill hatte selbst vor, Moulagen zu veröffentlichen. Im Atlas von Karl Zieler, einer Sammlung von Moulagenabbildungen zahlreicher bekannter Mouleure, wurden Rostocker Moulagen ab der 4. Auflage von 1937 veröffentlicht. Kaltschmidt war die einzige Frau unter diesen Mouleuren.
Sigrid Wulff (1920-1948), Doktorandin an der Rostocker Hautklinik, schrieb im Jahr 1945 in ihrer Klinikgeschichte über die Sammlung, dass sie sich: „zu einer der wissenschaftlich bedeutendsten und hervorragendsten Sammlung innerhalb des dermatologischen Fachgebietes entwickelte.“ (S. 52). Werner Schulze (1903-1976), Direktor der Rostocker Hautklinik (1952-1958) schrieb im Jahr 1955 in seiner Klinikgeschichte über die Sammlung: „Eine der besten Moulagensammlungen, die es in Deutschland gab (…).“ (S. 86).
Das Moulagenhandwerk wurde nach dem 2. Weltkrieg in Rostock nicht wieder aufgenommen, allerdings wurden die restlichen Moulagen und Tafeln sehr wahrscheinlich weiter für die Lehre eingesetzt. So konnten z.B. alle Stadien der Syphilis sowohl mit Moulagen als auch mit Tafeln gezeigt werden. Die Hautklinik erwarb sehr wahrscheinlich in den 1950er Jahren sechs Hauttuberkulose-Moulagen des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden (DHM), um die Sammlung nosologisch zu ergänzen (Abb. 9). Die Herstellung von farbigen Dias wie schwarz weißen Fotoplatten ging dagegen weiter und eine neue Foto- und Diasammlung wurde systematisch aufgebaut. Vermutlich in den 1960er Jahren verloren die Moulagen ihre Bedeutung für die Lehre und sie wurde in der Hautklinik eingelagert. Die alleinigen Lehrmittel waren jetzt das Diapositiv und die Folie mit entsprechenden Vergrößerungsapparaten. Anfang der 1980er Jahre wurden die Moulagen von Helmut Heise und Regina Zimmermann wiederentdeckt und erstmalig wurde ihr medizinhistorischer Wert herausgestellt. Sie dokumentierten den Bestand, stellten einen Ausstellungstext her und ließen 16 Moulagen Mitte der 1980er Jahre am DHM durch Gerhard Siemiatkowski restaurieren, die nach heutigen Maßstäben eine Umgestaltung bedeutete (Abb. 10 u. 11). Zum 100jährigen Jubiläum der Hautklinik 2002 veröffentlichten Heise, Schlecht, Zimmermann und Gross einen Fachartikel zur Sammlung, u.a. zur nosologischen Neubeurteilung der Moulagen: „Insgesamt würden in 22 Fällen heute klinisch offensichtlich dieselben Diagnosen und nur in 5 Fällen (abgesehen von den 5 nicht bezeichneten [Moulagen ohne Diagnoseschild, d.Verf.]) andere gestellt werden.“ (S. 350). Ab den 1990er Jahren übernahm die Hautklinik DHM-Moulagen vermutlich nur vom Institut für Medizinische Mikrobiologie. Dieser Bestand zählte 2002 84 Objekte und wurde um 2014 nochmal um 16 Objekte ergänzt. Ende 2017 kam ein weiterer Bestand von 48 DHM-Moulagen als Schenkung von der Seefahrthochschule Rostock-Warnemünde in die Sammlung. Eine Moulage aus diesem Bestand wurde bereits in 1920er Jahren hergestellt (Abb. 12).
Literatur
- Dahlke, Christian: Die Rostocker Moulagensammlung. Wissenschaftliche Erfassung, historische Kontextualisierung und Diskussion der Moulagen sowie der historischen Lehrmittelbestände der Dermatologischen Sammlung der Universitäts-Hautklinik Rostock. Dissertation, Universität Rostock 2019, URN: doi.org/10.18453/rosdok_id00002863.
- Dahlke, Christian: Die Syphilismoulagen der Rostocker Hautklinik in den Jahren 1902-1945. The Historical Context of the Syphilismoulages at the Department of Dermatology in Rostock, in: Aktuelle Dermatologie, 46. Jahrgang, 8-9/2020, S. 379-388, URN: doi.org/10.1055/a-1148-3930.
- Dahlke, Christian: Objektinformationsanalyse – Materiale Medizingeschichte am Beispiel der Rostocker Moulagen-Sammlung, in: Ernst Seidl, Frank Steinheimer und Cornelia Weber (Hrsg.): Zur Sache! Objektwissenschaftliche Ansätze der Sammlungsforschung. In der Reihe: Junges Forum für Sammlungs- und Objektforschung, Bd. 3, Berlin 2020, S. 92-99, URN: doi.org/10.18452/21143.
- Dahlke, Christian; Hiepe, Laura: Chirurgische Moulagen in der Anatomischen Sammlung Rostock, Institut für Anatomie Rostock 2019.
- Heise, Helmut: Die Moulagensammlung, in: Gross, Gerd E. (Hrsg.): 100 Jahre Universitäts-Hautklinik und Poliklinik Rostock 1902-2002, Rostock 2002, S. 162-166.
- Heise, Helmut, Schlecht, K.; Zimmermann, Regina; Gross, Gerd. E.: Die Rostocker Moulagensammlung, in: Der Hautarzt, 53. Jahrgang, 5/2002, S. 347-351, URN: doi.org/10.1007/s00105-002-0357-5.
- Schulze, Werner: Die Dermatologische Klinik der Universität Rostock. Ein Rückblick auf ihre Gründung und Entwicklung, in: Der Hautarzt, 6. Jahrgang, 2/1955, S. 84-88.
- Wulff, Sigrid: Die Entwicklung der Dermatologischen Universitäts-Klinik und Poliklinik in Rostock, Dissertation Universität Rostock, Rostock 1945.
Artikel erstellt von Christian Dahlke, Rostock 2022. Fotos/Scans: Christian Dahlke. Anderer Herkunft: Abb. 1: Albrecht Scholz (Herkunft der Abbildung), Medizinische Fakultät Carl-Gustav-Carus, Technische Universität Dresden. Abb. aus: Gross GE, Hrsg. 100 Jahre Universitäts-Hautklinik und Poliklinik Rostock 1902 – 2002. Rostock: Hinstorff; 2002: 42. Abb. 4: Johanna Lang. Abb. 10: Universitäts-Hautklinik Rostock.